Bei geöffnetem Fenster schlafen soll ja gesund sein. Dass ich mich seitdem trotzdem wie gerädert fühle, liegt möglicherweise an der familienfreundlichen Reihenhaussiedlung, in der ich wohne. Das Leben auf dem Dorf ist leider nur optisch ruhig und idyllisch.
Mal von den linken Nachbarn abgesehen, die so busy sind, dass sie im Zehnminutentakt türenknallend und schnatternd das Haus verlassen oder betreten, gibt es darüber hinaus gefühlt in jedem Haushalt in der Nachbarschaft mindestens einen Hund, der selbstverständlich den Tagesrhythmus vorgibt. So wird man täglich, noch bevor der Wecker klingelt, mit aufgeregtem Gekläffe geweckt. Auch am Wochenende! Da weiß man doch sofort, wer hier wen erzieht. Früher gab es Frauchen und Herrchen, heute heißen Hundebesitzer schlicht Mama oder Papa, was den meisten nicht hundeaffinen Menschen zumindest eine gerunzelte Stirn entlockt.
Die Wenigen, die keinen Hund haben, haben dafür Kinder. Auch hier scheint der Erziehungsstil eher antiautoritär bis laissez-faire zu sein. So wird man zusätzlich zum hysterischen Gekläffe, auch von mehrstimmigem Gekreische bis ins Mark erschüttert. Nicht nur ein paar Minuten, sondern stundenlang, täglich.
Wenn Hunde und Kinder für ein Weilchen pausieren, und man sich über die unerwartete Ruhe freuen könnte, wirft mit hundertprozentiger Sicherheit ein Nachbar ein elektrisches Gartengerät an, das für die knapp zwanzig Quadratmeter Garten merkwürdigerweise eine halbe Ewigkeit dauert.
Sind alle Hunde, Kinder, Rasenmäher und Heckenscheren verstummt, haben die Gäste der Kneipe auf der anderen Straßenseite bereits einen beachtlichen Promillepegel erreicht, der verhindert, ihre eigenen Lärmemissionen kontrollieren zu können. So stehen sie rauchend und grölend vor der Tür und erfreuen uns mit tiefsinnigen Dialogen.
Darüber hinaus gibt es auch noch meinen jugendlichen Mitbewohner, der in der Regel recht ruhig und friedlich ist, aber beim Online-Zocken mit Freunden ein bemerkenswertes Temperament an den Tag legt und ununterbrochen touretteartig flucht.
Diese ganzen Szenarien werden noch zusätzlich mit dem Geräusch des Durchgangsverkehrs garniert, zu dem auch Trecker und Harleys mit modifiziertem Auspuff gehören.
Im dreiundzwanzigsten Stock mitten in Mainhattan geht es mit Sicherheit ruhiger zu als in einer Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand. Bei geschlossenen Fenstern ist es eigentlich erträglich, und ich fange an, die kühlere Jahreszeit zu schätzen.
Gibt es denn keinen Ort für misophone Menschen wie mich, an dem statt Hunde und Kinder Katzen leben, und Nachbarn, die nicht täglich mit einem Rudel extrovertierter Freunde im Garten sitzen? Hmpf, das nennt man wohl Seniorenheim. Ich kann's kaum erwarten!
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